Vor vielen Jahren hatte mein Zug von Heidelberg nach Stuttgart bereits so viel angekündigte Verspätung, dass ich mir vom Service am Bahnhof durch dessen Anruf bei der Fahrdienstleitung garantieren ließ, dass der Anschluss nach Nürnberg dennoch erreicht werden würde.
Als denn kurz vor Stuttgart die Ansage kam, welche Anschlüsse allesamt nicht mehr erreicht werden würden, war ich zunächst sehr gelassen, denn ich hatte ja vorgesorgt und meine Garantie: Der Interregio nach Nürnberg würde warten - - - dachte ich jedenfalls, und zwar bis zu dem Augenblick, als eben jene näselnde Durchsage kam: "… blablabla … nach Nürnberg wird leider nicht mehr erreicht". Ich, wie von der Tarantel gestochen, hoch, raus auf den Gang: Wo ist der Schaffner? Aha, stempelt seelenruhig Fahrkarten. Ich zu ihm hin, den Sachverhalt erklärt und ihn aufgefordert, doch bitte pronto in Stuttgart anzurufen, dass der bewusste Interregio eben warten müsse, bis die Fahrgäste nach Nürnberg … usw.
Nun erkennt man in der Regel schon am Gesichtsausdruck des Gegenübers unter währendem Vortrag, wie es um die eigene Sache bestellt ist. Die zur Schau gestellte Beamtenkruste in ihrer provozierenden Undurchdringlichkeit führte instantly zu einer spürbaren Erhöhung meines Blutdrucks, wozu der Umstand erheblich beitrug, dass am Bauch dieses Mannes im Holster sein Diensthandy baumelte. Ein Anruf von ihm, und das Problem wäre gelöst. "Nein, das geht nicht." Wieso nicht? "Vorschriften!" Welche Vorschriften? Ich habe die verbindliche Zusage , dass … "Egal, ich kann da nicht anrufen." Können Sie wohl, sie wollen nicht. "Geht nicht!"
O.k., dann lassen Sie mich mit dem Fahrdienstleiter sprechen, ich kläre das selbst, ich sehe, Sie haben das Diensttelefon ja bei sich. "Nee, nee, darf ich nicht."
Da erreichte meine Wut denn doch einen so hohen Grad, dass mir Beherrschung und Gesichtszüge entglitten. Ich fing zu brüllen an, wie es sonst nicht meine Art ist: Was die Bahn sich eigentlich einbilde? Wie man mit Fahrgästen umspringen zu können glaube? Und dass ich in diesem verdammten Zug überhaupt nicht sitzen würde, wenn man mir nicht explizit garantiert hätte, dass der Anschluss … usw., usw.
Die Leute wurden auf die Szene aufmerksam, Abteiltüren öffneten sich, Köpfe streckten sich heraus, besorgte Gesichter - irgendwer (er kam mir gerade recht) versuchte beruhigend auf mich einzureden, am liebsten hätte ich ihm eine gelangt, und dann natürlich dem Schaffner in seiner hörnernen Gleichgültigkeit.
Ich war jedenfalls unerreichbar für jede Beschwichtigung, tobte und musste dann violettgesichtig den Rückzug antreten. Doch anscheinend hatte dieser Auftritt, der mir in der Rückschau nur noch peinlich war, doch eine Frucht getragen: Denn keine zehn Sekunden, nachdem ich wieder an meinem Platze saß, ertönte erneut der Lautsprecher:
"Entgegen der Ankündigung vor wenigen Minuten wird der Interregio soundso nach Nürnberg nun doch noch erreicht". Anscheinend hatte der Schaffner nach meinem Abgang also tatsächlich angerufen und vor einem Todsüchtigen gewarnt.
"Haltet um Gottes willen diesen Zug auf, der Mann läuft sonst Amok",
oder so ähnlich muss es wohl gewesen sein.