Die Oper - mystisch, sexy und brutal


Spätestens nachdem Lohengrin im Mai im Nürnberger Staatstheater ausgebuht wurde, da die Aufführung in Kostümierung und Ausrichtung zu sehr dem unter allen Generationen bekannten Game of Thrones ähnelte, steckt die Nürnberger Opernszene in einer Glaubenskrise.
Ist es tatsächlich schon so weit gekommen mit den Ängsten um die Erfolge des gegen­wärtigen Kul­tur­be­triebs, dass man sich bei den Massen mit einem Game-of Thrones-Style anbiedern muss? Redet das Marketing neuerdings in die Inszenierungen rein? Das könnte man meinen, denn nur einem Marketer – und nicht den hochverehrten Kulturschaffenden - möchte man die Idee nachsagen, mit einem Game-of-Thrones-Style Millenials davon überzeugen zu können, sich konzentriert in die Oper zu hocken und den Hauptfiguren vier Stunden beim Sterben zuzusehen.

Ein Stuhl und Anna Netrebko 

Gegen bisherige Versuche, die Oper massentauglich zu inszenieren, hatte das Publikum nichts ein­zu­wen­den. Dass die weiblichen Hauptfiguren wie die heißblütige Car­men immer sexier werden und Duett­partner enger und offensichtlicher auf Tuchfühlung ge­hen, wird man schließlich niemandem verübeln. Wenn Anna Ne­treb­ko las­ziv Duette singt und jeden Muskel in ihrem Körper bei ihrer so graziösen wie ful­minanten Darbietung beherrscht, ist das Publikum begeistert. Da verzeiht man den Kulturschaffenden, dass das Bühnenbild auf minimalistischstes Maß reduziert wurde. 

Bei einer sexy Performance darf das Bühnen­bild ruhig mini­malistisch sein. Wer nähme Anstoß daran, dass auf der Bühne nur ein Bett steht, wenn Anna Netrebko sich darin räkelt, ihre schwar­zen Seidenstrümpfe über die Beine zieht, am Körper nichts als ein schwarzes Nachthemd, das kürzer ist als ein Gürtel? Wer möchte beklagen, dass auf der Bühne nur ein Stuhl steht, auf dem der Hauptdarsteller sitzt, dem sich Anna Netrebko lasziv auf in den Schoß wirft und sich mit Si­renen­g­esän­gen nach hinten fallen lässt, biegsam wie eine Katze?

Ein Sofa und Anna Netrebko, mehr braucht es nicht. 
Nächste Szene: Ein Bett und Anna Ne­treb­ko. 
Nächste Szene: Ein Stuhl und Anna Ne­treb­ko. 

Mainstream oder innovativ?

Derartige Versuche, das Publikum in die Opernsäle zu locken, die so altertümlich anmuten wie das Wohnzimmer von Richard Wagner persönlich, haben das Pub­li­kum jedenfalls weniger verärgert, als die Netflix-Lohengrin-Aufführung im peinlich berührten Nürnberger Staats­theater, das froh darüber sein konnte, dass sich die Be­richt­er­stattung über­wie­gend auf die gelungenen Aspekte der Darbietung konzentrierte. Nun fällt es plötzlich auf, dass sich die Oper ver­ändert hat und offenbar dem Main­stream-Geschmack Tribut zollt.

Plädoyer

Daher wird es höchste Zeit, für die Oper eine Lanze zu brechen: Noch hat sie in ihrem Schatzkästlein die Dia­man­ten des Repertoires vergangener Zeiten, die gelegentlich hervorzuholen sie gottlob nicht müde wird. Wagners Klassiker werden auch heute noch – vor allem in Bayreuth – mit Be­wusst­sein für Klassik, Klasse und einer ge­wi­ssen Extravaganz aufgeführt. Kleine Aus­flüge in Phantasiewelten, wie in Nürn­berg, sind wohl zu verschmerzen, handelt es sich bei Lohengrin doch – wie in Game of Thrones auch - um einen Mythos. Noch beherrscht die Oper die ganze Klaviatur künstlerischer Gestaltungs- und Ausdrucksmittel. Sie ist, mal leidenschaftlich (Carmen), ro­mantisch (Madama Butterfly), düster (Rigoletto), sym­bol­ge­la­den (Maria de Buenos Aires), mal mit Mythen überladen (Lohengrin), mal akkurat und natürlich ist sie – wie das Pri­vat­fern­se­hen und Binge-Watching-Serien auch - brutaler und sexier denn je (Letzteres ist wohl auch den neuen Opern­diven zu verdanken, die nicht mehr die klassische Walküre von Wa­gner verkörpern, sondern eher die ele­gante Grazie einer Balletttänzerin). 

Fazit: Die Oper bringt noch immer alle Schattierungen menschlicher Emo­tio­nen zum Ausdruck, und das so gut, wie alle Musiker, die mitwirken: Mit Ex­zel­lenz und Eleganz. 

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