Drei Fragen an den Philosophen Peter Sloterdijk
Ein Vortrag, den der gewiss einflussreichste deutschsprachige Philosoph der Gegenwart im Juni in Nürnberg gehalten hat, bot die Gelegenheit, ihm im Nachgang drei Fragen zu stellen. Hier seine Antworten: Lost Philosophy:
Worin besteht für Sie der
entscheidende Unterschied zwischen der Philosophie und den sogenannten 'exakten
Wissenschaften'?
Peter Sloterdijk: Historisch gesehen sind die exakten Wissenschaften Nebenprodukte einer ursprünglichen Einheitswissenschaft, die zuerst das Ideal der Mathematik in die natürlichen Sprachen hineinprojiziert hatte. Diese musste sich irgendwann ausdifferenzieren. Die Philosophie hat zuerst ihre naturwissenschaftliche Kompetenz verloren, dann wurde sie von der christlichen Theologie links überholt und dann hat sie die kosmologische Kompetenz verloren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist sie fast nur noch ein Beratungsunternehmen für Menschen, die weiterhin existentielle Fragen stellen. Sie befindet sich nun in lockerer Konkurrenz mit den verschiedenen Religionen. Alle anderen ehemaligen Kompetenzbereiche musste sie an die anderen Wissenschaften abgeben. Aber die Einzelwissenschaften nähern sich in ihrer Grundlagenreflexion wieder der Philosophie an. Die Beziehung der Philosophie zu den exakten Wissenschaften beschreibt eine große Kreisbewegung, die zu einer Ausdifferenzierung geführt hat an deren Ende sie sich zu einer Wiederannäherung genötigt sieht. Aber eine Wiedervereinigung von Philosophie und den sogenannt exakten Wissenschaften kann es nicht geben, weil die Spezialisierung zu groß ist.
Lost Philosophy:
Sie schreiben, die Philosophie würde
seit einem Jahrhundert im Sterben liegen. Was meinen Sie damit genau?
Die Philosophie war im Sterben, weil sich der Eindruck verbreitet hat, dass es nicht mehr möglich sei, mit der gleichen Naivität wie in der vorkantischen Periode metaphysische Fragen zu stellen. In der Ära des Positivismus, des Naturalismus, des Existentialismus und des Historismus entsteht der Eindruck, dass Metaphysik nur noch auf einem Missbrauch der Sprache beruht, die keine sinnvollen Fragen mehr zu artikulieren erlaubt. Deswegen kann man sagen, die Philosophie lag im Sterben, aber die Aufgabe, die sich gestellt hatte, ist noch nicht erfüllt und deswegen zieht sich ihr Abschied etwas in die Länge.
Lost Philosophy:
Welchen Rat würden Sie jemanden
geben, der sich mit Philosophie beschäftigen möchte, aber nicht die akademische
Vorbildung mitbringt, die Experten wie beispielsweise Sie auszeichnet?
Peter Sloterdijk: Man sollte die Autoren lesen, die man verstehen kann. Da fallen eine ganze Reihe Verfasser beiseite, beispielsweise nach Kant, die schon allein technisch zu schwierig werden. Am Besten ist es eigentlich, man liest die großen Romane des 19. Jahrhunderts, weil deren Verfasser sich auch mit der Philosophie ihrer Zeit auseinandergesetzt hatten, jedoch beim Stil des Erzählens geblieben sind. Erzählungen versteht man nach der basalen Organisation unserer Intelligenz von Grund auf besser als Ableitungen und Argumente.
Lost Philosophy: Vielen Dank für diesen praktischen Ratschlag. Und vielen Dank für dieses Gespräch.