Wie sagt Carolin Kebekus so schön: Nach einem OB zu fragen, ist wie ein Deal mit Koks. Niemand
soll mitbekommen, was du dir gerade organisierst. Recht hat sie! Wie oft bin ich schon in schamhaftem
Flüsterton um einen Tampon gebeten worden und habe es dann der Fragenden aus
Rücksicht auf ihre peinliche Berührtheit konspirativ zugesteckt, so dass sie es
verdeckt und betreten in ihre Tasche stecken konnte und sich keine Sorgen
darüber machen musste, wer gerade mitkriegen könnte, dass ihre Muschi Blut
spuckt.
Die Periode gilt noch immer als ekelhaft, obwohl sich die halbe
Welt heutzutage für emanzipiert und aufgeklärt hält. Trotzdem zeigt die
Tamponwerbung eine blaue Flüssigkeit, die klinisch rein von einem OB aufgesogen
wird, denn rot ist ekelhaft, wäre zu nah am "Original". Trotzdem
reden wir von „der roten Tante“, „dem roten Meer“ oder „meinem Zeug“, denn die
Periode gilt als ekelhaft. Trotzdem schämt sich so mancher Kerl, der seiner
Freundin beim Einkauf Obs mitbringen soll (… aber nicht die Großen, oder? Sonst
denkt jeder, meine Freundin hat eine Muschi wie der St. Gotthard-Tunnel).
Auch das PMS davor ist kein Zustand, PMS ist eine
Beleidigung. Wie so viele Zustände und Erkrankungen, über die noch weniger
offen gesprochen werden kann als über die Periode. Psychisch krank, so möchte
sich keiner nennen. Wer ein Burn-out hat, verschwindet elegant für ein paar
Wochen oder Monate von der performanceorientierten Büro-Tanzfläche und hofft,
nach seiner Rückkehr nicht angesprochen zu werden. Wird er auch nicht, denn die
heißesten Vermutungen wurden sowieso schon in seiner Abwesenheit besprochen.
Selbst Homosexualität, von der heutzutage – zumindest in
Deutschland – behauptet wird, sie wäre weitgehend akzeptiert, wird noch immer von
vielen Vorurteilen begleitet. Noch immer wird hinter vorgehaltener Hand
gemunkelt, ob es nicht doch eine psychische Abnormität sei, die auf negative
Erfahrungen mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil oder zumindest Angehörigen
des anderen Geschlechts zurückzuführen sei. Freud würde sich über solche
Theorien freuen. Noch heute dreht er sich nicht im Grabe um, sondern tanzt auf
einer Wolke psychoanalytischer Intoleranz. Aber wie auch Freud im Ganzen sind auch
solche Theorien veraltet und wissenschaftlich längst überholt. Abgesehen davon
– und da wären wir wieder bei den psychischen Krankheiten – was wäre so schlimm
daran, wenn es eine wäre (was es nicht ist)? Haters shall shut the fuck up!
Was ebenfalls noch immer als psychische Verirrung oder
zumindest Zeichen erbärmlicher Verzweiflung und Einsamkeit gilt: der Konsum von Pornos. Besonders Frauen kichern verlegen, sobald das Thema angeschnitten wird,
und die wenigsten Females geben zu, selbst schon mal Pornos angeschaut zu
haben, die ihnen nicht „bei einem Freund“ oder „in einem unbeabsichtigt
geöffneten Pop-Up“ präsentiert wurden. Dabei weisen die Statistiken von pronhub
darauf hin, dass immer mehr Frauen Pornos konsumieren. Das gleiche gilt folglich auch für das Thema
Masturbation. Noch immer wird sich verschämt darüber ausgeschwiegen. Freilich sollte das Ziel nicht sein, mit der eigenen Sexualität, Masturbationsgewohnheiten oder Porno-Vorlieben hausieren zu gehen. Aber muss man sich heutzutage wirklich noch dafür schämen?
Sind wir also wirklich einfach nur scheinheilig, wenn wir
behaupten, tolerant zu sein, in Wahrheit aber ein ganz anderes Verhalten an den
Tag legen? Oder sind wir Opfer eines diffusen, womöglich anerzogenen Schamgefühls,
dessen Ursprung wir noch immer nicht völlig zuordnen können? Falls ja, liegt
die Vermutung nahe, dass diese Scham wohl weniger angeboren ist als dass sie
unserer Sozialisierung in einer Gesellschaft entspringt, die Urteile wie
„peinlich“, „ekelhaft“ oder „krank“ von Generation zu Generation weitergibt.
Religionen spielen eine tragende Rolle dabei, intolerante Urteile
tief in unser Bewusstsein einzugraben. Bei der Stigmatisierung von Frauen oder nicht-Heterosexuellen sind sich die
Weltreligionen ausnahmsweise einmal einig. Ob im Judentum, Islam oder
Hinduismus, die Frau gilt während ihrer Periode als unrein, sie darf das
Gotteshaus nicht betreten und Sex mit ihr ist tabu. Das Christentum hat sogar
eine Erklärung für die Ursache dieses Ekels, der mit der Periode verbunden
wird: Die Periode ist die Bestrafung für den Sündenfall. Diese Intoleranz
zeigen die religiösen Führer auch gegenüber der anderen unnötigen Tabus, die
hier beschrieben wurden: Homosexuelle, psychisch Kranke, Wichser, sie gelten
alle als unreine, sündige und psychisch verirrte Menschen.
Wir von Lost Philosophy sagen: Schluss mit unnötigen Tabus, mit
denen natürliche Vorgänge diskreditiert werden. Schluss mit scheinheiligen
Toleranzbekundungen, die mit dem eigenen schamhaften Verhalten und den eigenen,
hinter vorgehaltener Hand gesprochenen Worten nicht viel zu tun haben. Schluss
mit der Stigmatisierung von Zuständen und Orientierungen, für die niemand etwas kann und mit denen keiner irgendwem wehtut. Schämt euch nicht für das, was ihr seid.
Menstruierende Frau? So what, es gibt Schlimmeres, zum Beispiel Alkohol-transpirierende
Grapscher. Psychisch krank? So what, ist doch nicht eure Schuld, ist höchst
wahrscheinlich die Schuld von jemand anderem. Porno-Gucker? Spoiler-Alert: Ist
heutzutage so gewöhnlich und verbreitet wie Netflix-Binge-Watching … sogar noch
gewöhnlicher und noch weiter verbreitet. Schwul, lesbisch, bisexual, bichoosy
oder was auch immer? Seid stolz, wer in der Lage ist zu lieben, sollte damit
angeben dürfen.
Auch wir wollen uns bemühen, den Diskurs mit unseren Lesern
aufzulockern, indem wir stolz zu unseren Peinlichkeiten stehen.